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BAG: Insolvenzverwalter kann schon vor Beginn der Betriebsänderung kündigen


In der heutigen Wirtschaftswelt sind betriebliche Veränderungen, sei es durch Insolvenz, Restrukturierung oder Schließung, keine Seltenheit mehr. Im Zuge solcher Umbrüche treffen Arbeitgeber und Betriebsräte oft auf rechtliche Fragestellungen, die die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter betreffen. Eine wichtige rechtliche Grundlage in solchen Situationen ist der sogenannte "Interessenausgleich mit Namensliste". Diese rechtliche Maßnahme kann jedoch sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ein zweischneidiges Schwert sein, wie sich aus einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ergibt.


Ein Blick auf den Fall

Der konkrete Fall, der vor dem BAG verhandelt wurde, dreht sich um einen Arbeitnehmer, der bei einem insolventen Unternehmen beschäftigt war. Der Insolvenzverwalter plante die Stilllegung des Betriebs und schloss mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab. In diesem Dokument wurden mehrere Namenslisten erstellt, auf denen sämtliche Beschäftigte des Unternehmens verzeichnet waren. Der besagte Arbeitnehmer fand sich auf der zweiten dieser Listen wieder.

Im Anschluss an den Interessenausgleich erfolgte die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter. Hierbei berief sich der Insolvenzverwalter auf die gesetzliche Vermutung gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO), dass die Kündigung betrieblich bedingt sei. Die Vermutung greift bereits in der Planungsphase einer Betriebsänderung oder -schließung.


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Der Fall wurde bis vor das Bundesarbeitsgericht gebracht, welches die Kündigung schließlich für wirksam erklärte. Die Begründung basierte auf der Annahme, dass der Arbeitnehmer aufgrund des Interessenausgleichs mit Namensliste wirksam gekündigt wurde. Gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO wird in solchen Fällen vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) bedingt ist.

Das BAG betonte, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs die Betriebsänderung noch in der Planungsphase sein muss. Dies ermöglicht dem Betriebsrat, Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen zu nehmen. Im vorliegenden Fall argumentierte der Insolvenzverwalter erfolgreich, dass die Betriebsänderung bereits geplant war und die diesbezügliche Vermutungswirkung nicht widerlegt werden konnte.


Herausforderungen und praktische Hinweise

Der Interessenausgleich mit Namensliste kann für Arbeitnehmer eine Herausforderung darstellen. Die gesetzliche Vermutung der betrieblichen Bedingtheit der Kündigung gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist schwer zu widerlegen und bildet die Grundlage jeder betriebsbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG. Dies kann die Position der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess deutlich schwächen.

Betriebsräte wiederum stehen oft unter Druck, den Namenslisten zuzustimmen, um akzeptable Regelungen für die Beschäftigten zu erzielen. Im Gegensatz zum Sozialplan können Betriebsräte den Interessenausgleich nicht erzwingen. Zudem ist es von Bedeutung zu verstehen, dass die geplante Betriebsschließung oder -änderung nicht zu 100 Prozent feststehen muss, sondern Planungen genügen.

In einem Lichtblick für gekündigte Arbeitnehmer besteht die Möglichkeit eines Wiedereinstellungsanspruchs, sollte sich die prognostizierte Schließung des Unternehmens als falsch erweisen und das Unternehmen weitergeführt werden. Dieser Anspruch kann vom Betriebsrat vorsorglich im Sozialplan festgehalten werden.

Der vorliegende Fall verdeutlicht die Komplexität und rechtlichen Nuancen, die bei betrieblichen Veränderungen auftreten können. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten sich dieser Herausforderungen bewusst sein und gegebenenfalls rechtlichen Rat einholen, um fundierte Entscheidungen im Sinne aller Beteiligten zu treffen.

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